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NICHTSEATTLE
 
Die Sehnsucht, irgendwo anzukommen
Nichtseattle
Was anderen schwerfällt, klingt bei Katharina Kollmann ganz leicht: Mit "Haus", dem dritten Album ihres Projekts Nichtseattle, liefert die Berliner Musikerin nicht mehr und nicht weniger als ein hochemotionales Meisterwerk ab, mit dem sie ehrlich, unverstellt und echt aus dem Privaten das Politische entwickelt und vom Überleben zum Leben findet, wie es an anderer Stelle bereits so treffend hieß. Gehüllt in oft wunderbar unaufgeregten, zeitlos schönen Indierock mit sanftem Folk-Touch, der genauso ohne Effekthascherei auskommt wie ihre beeindruckend einfühlsamen Texte, fängt sie in den zwölf hinreißend guten Songs der Platte die Poesie des Alltags so perfekt ein wie hierzulande praktisch niemand sonst.
"Ankommen ist nichts, was man alleine für sich schaffen kann", hat Katharina Kollmann kürzlich in einem Interview gesagt, und auf ihrem fabelhaften neuen Album ist genau dieser Gedanke - die Sehnsucht, irgendwo anzukommen - inhaltlich wie klanglich die Triebfeder. Textlich wandert der Blick mehr nach außen, musikalisch werden die zuvor oft solistisch angelegten Songs nun im Bandgefüge gemeinsam mit Juliane Graf am Bass, Sebastian Albin am Schlagzeug, Sebastian Wiege an der Stromgitarre und Gregor Lener an Flügelhorn und Trompete zwar immer noch sehr bedacht und behutsam, aber doch merklich voluminöser ausstaffiert. Der dezenten Neuausrichtung zum Trotz ist der Stellenwert, den die Musik im Leben der 1985 geborenen Musikerin einnimmt, unverändert. "Die Musik hat für mich schon immer eine sehr, sehr wichtige Rolle gespielt, auch als ein Halt gebendes Element, vor allem, seit ich seit meiner frühen Jugend Songs schreibe", erzählt Kollmann im Gespräch mit Gaesteliste.de. "Mit der Zeit hat die Musik dann einen immer größeren Platz eingefordert." In den letzten zehn Jahren hat Kollmann vier Platten mit ihrem englischsprachigen Projekt Lake Felix veröffentlicht, die größere Beachtung fanden aber die zwei Platten von Nichtseattle, die sie 2019 und 2022 veröffentlicht hat.

Standen diese beiden Album - "Wendekid" und "Kommunistenlibido" - spürbar im Zeichen ihrer Ost-Berliner Herkunft, schlägt Kollmann nun inhaltlich einen merklich weiteren Bogen. Auf "Haus" rückt sie ihre Gedanken zu Vereinzelung, Unsicherheit und Prekarität, aber auch die damit verbundene Suche nach einem Zuhause, die schon im Albumtitel anklingt, in den Fokus. Das Haus ist ein wiederkehrendes Thema des Albums, zudem tragen alle Songs tragen Untertitel, die auf verschiedenste Arten von Behausungen verweisen - von der Eigentumswohnung über den Proberaum und das Zelt bis hin zum Fahrgastunterstand -, doch am Ende sind es weniger die Bauwerke als deren Bewohnerinnen und Bewohner, denen Kollmann in den gesellschaftlichen und milieubezogenen Psychogrammen ihrer Texte die größte Beachtung schenkt und dabei keine Mühe hat, auch komplizierte Sachverhalte mit solch spielerischer Leichtigkeit zu transportieren, dass man bisweilen das Gefühl hat, ihr würden die Textzeilen einfach spontan aus dem Mund purzeln.

Tatsächlich liegt Kollmann die Idee, so zu schreiben, wie sie auch redet, am Herzen. "Meine Gedanken sind wie gesprochene Sprache und so will ich das auch aufschreiben", erklärt sie. Auch wenn sie ihre Texte natürlich editiert und auch mal länger nach den richtigen Wörtern sucht, um bestimmte Dinge zu beschreiben, nutzt sie auch gerne Füllwörter, um die Ideen in ihrem Kopf so unmittelbar wie möglich auszudrücken und so eine außergewöhnlich direkte Verbindung und eine bemerkenswerte Nähe zu ihren Hörerinnen und Hörern herzustellen.

Die emotionale Wucht ihrer Lieder gibt ihr recht: In ihren Songs findet Kollmann nicht nur zu einer eigenständigen Ausdrucksweise, sie gelangt in der Rolle der klugen Beobachterin auch immer wieder von betont persönlichen Gedanken zu universellen Wahrheiten, knüpft Verbindungen von der Abstraktheit des großen sozialen Gefüges zu den realen Konsequenzen in unser aller Leben. Die Texte ihrer ersten Platten hat Kollmann auch in von Fania Jacob illustrierten Graphic Novels veröffentlicht, trotzdem ist für sie das Songformat konkurrenzlos. "Ich finde, Musik ist die direkteste und emotionalste Kunstform, die es gibt", sagt sie. "Dadurch, dass es für mich um sehr starke Gefühle geht, die ich selber erlebe, ist das einfach die passendste Ausdrucksform."

Wenngleich ihr Songwriting auch auf "Haus" stets hochsensibel ist, sind viele der neuen Lieder textlich, aber nicht zuletzt auch klanglich deutlich versöhnlicher und weniger einsam - das sieht auch Kollmann selbst so. Ein Stück weit ist das für sie das Resultat eines Heilungsprozesses, denn das Songschreiben hat ihr nicht nur die Gelegenheit gegeben, sich mit vielen zuvor unverarbeiteten Themen zu beschäftigten, um die Musik herum hat sich auch viel sozial entwickelt, und das ist auf der Platte spürbar, denn auch klanglich ist die Band gewachsen.
Nichtseattle
Den Sound von Nichtseattle beschreibt Kollmann derweil als "Summe aus vielen kleinen sehr intuitiven Geschmacks- und Gefühlsentscheidungen". Das gerade in letzter Zeit etwas inflationär bemühte Schlagwort "Authentizität" benutzt sie zwar nur ungern, der Verzicht auf elektronisches Beiwerk und die Konzentration auf analoge, naturbelassene Klangfarben ist am Ende aber doch auch der Suche nach eben dieser Authentizität geschuldet, bei der ihr die Co-Produzenten Olaf O.P.A.L. und Sönke Torpus zur Seite standen. Mit ihren unverkennbaren Bariton-Gitarrenriffs lenkt Kollmann ihre Band auf "Haus" durch einen wunderbar entschlackten, vom Folk geküssten Indierock, der bisweilen an die Eigentümlichkeit von PJ Harvey, die Eleganz von Death Cab For Cutie oder die emotionale Wucht von Nirvana erinnert und spätestens dann, wenn die Bläser ins Spiel kommen, eine ganz besondere Note erhält.

Apropos besondere Note: Zu gleich vier Songs der neuen Platte gibt es Videos, bei denen Kollmann selbst für Konzept, Regie und Schnitt verantwortlich zeichnet und mit denen sie mal eher abstrakt, mal sehr unmittelbar die Bilder, die sie mit ihren Songtexten malt, in bewegte Bilder übersetzt - bei "Krümel noch da", sogar mit einem Gastauftritt Dirk von Lowtzows, der mit einem der ersten Tocotronic-Songs Kollmanns Projektnamen inspirierte. Doch was macht für sie eigentlich den Reiz an der visuellen Umsetzung aus? "Es überrascht mich selber, wieviel Spaß mir das macht und wie sehr mich das auch selbst berührt, da noch mal Bilder für zu finden"; gesteht Kollmann. "Das ist sehr anstrengend, weil man viel organisieren muss und nicht viel Budget hat, aber gerade auch beim Schnitt habe ich immer sehr viel Spaß. Ich entdecke die Musikvideos gerade als eine richtig schöne weitere Ausdrucksform."
Nichtseattle
Auch live wächst die Welt von Nichtseattle. Auftritte mit Chor wie beim Pop-Kultur-Festival in Berlin letzten August werden wegen der logistischen Herausforderungen zwar die Ausnahme bleiben, bei ihrer Deutschland-weiten Tournee im Juni wird sie allerdings an zehn Abenden mit ihrer kompletten Band auf der Bühne stehen. Dass sie vorab Anfang Mai einige Konzerte solo bestreitet, ist trotzdem kein Zufall, denn Kollmann schätzt beides: "Wenn ich solo spiele, vermisse ich irgendwann die Band, und obwohl es mit Band wahnsinnig viel Spaß macht, merke ich halt auch, dass die Aufmerksamkeit für die Texte bei Solokonzerten größer ist. Bei den Bandkonzerten ist die Musik ein bisschen dominanter. Beides finde ich gut, und deshalb ist es schön, wenn's ausgeglichen ist."

Erste, schon Wochen vor dem Tourstart ausverkaufte Konzerte und das überschwängliche Echo, das Kollmann schon vor der Veröffentlichung für "Haus" von ausnahmslos allen Medien entgegenschallte, beweist, dass Kollmann mit ihrer neuen LP alles richtig gemacht hat. Trotzdem bleiben ihre Hoffnungen und Erwartungen für das Album bescheiden. Passend zum inhaltlichen Tenor der neuen Lieder wünscht sie sich, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht, ein Stück weit mehr Stabilität für sich und ihre Band. Dabei richtet sie ihren Blick nicht nur auf die in den kommenden Monaten anstehenden Konzerte, sondern auch auf eine weitere Albumproduktion, die sie ob zahlreicher bereits geschriebener neuer Songs bereits im Hinterkopf hat - oder wie sie es selbst ausdrückt: "Ich fände es schön, wenn durch die Platte das Gefühl entsteht, dass es irgendwie weitergeht!"
Weitere Infos:
nichtseattle.bandcamp.com
www.facebook.com/Nichtseattle
www.instagram.com/nichtseattle
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Sascha Schlegel-
Nichtseattle
Aktueller Tonträger:
Haus
(Staatsakt/Bertus/Zebralution)
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